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Hätte die Entscheidung bei mir gelegen, hätte ich Shaddam Corrino hinrichten lassen und Graf Hasimir Fenring gleich mit. Wie auch immer, ich werde den Entschluss meines Bruders in Ehren halten, obwohl er uns vielleicht in Zukunft Ungemach bereiten wird.
Alia Atreides in einer von Duncan Idaho überlieferten Bemerkung
Prinzessin Irulan begleitete die triste Prozession nach Bronsos Hinrichtung an Jessicas Seite. Die Wachen hatten ihnen einen breiten Weg durch die Menge gebahnt, so dass sie zur Todesdestille hinübergehen konnten. Weder sie noch Jessica sprachen ein Wort.
Trotz ihrer anfänglichen Widerstände war Irulan zu der Erkenntnis gelangt, dass dieser ganze Plan tatsächlich typisch für Paul war: Es passte zu ihm, seinen eigenen Erzfeind damit zu beauftragen, die gewaltige Machtstruktur seiner Legende auf jede erdenkliche Art zu demontieren. Und Bronso hatte dieses Geheimnis mit in die Todesdestille genommen.
Alia und Duncan, die Imperiale Regentin und ihr Ghola-Gemahl, stiegen die Stufen zu der Plattform empor, auf der die Todesdestille im Sonnenlicht stand. Zurückgewonnene Feuchtigkeit kondensierte an den Innenseiten der transparenten Wände und zirkulierte durch interne Ventilsysteme.
Tröpfchen der Menschlichkeit, dachte Irulan.
Das Qizarat hatte einen Freudentag verkündet, eine morbide Feier, und Alia wirkte sehr zufrieden damit. Der tosende Jubel wurde lauter, als Alia, Duncan, Gurney, Jessica und Irulan vortraten, um sich das Werk der Regentschaft anzusehen, die »Gerechtigkeit«, der man Genüge getan hatte. Irulan versuchte sich ihre frühere Wut über all das von Bronso Geschriebene in Erinnerung zu rufen, über seine Lügen und seine kühnen Übertreibungen. Sie war sich nicht sicher, ob sie bereit gewesen wäre zu sterben – zumindest auf diese Weise –, um ihre Version der Wahrheit zu schützen.
Auf der Plattform bildete eine Gruppe Priester einen Kreis um sie und die Todesdestille. Die Regentin sprach mit lauter, widerhallender Stimme. »Prinzessin Irulan, Ehegattin Muad'dibs, dir steht es nun frei, die Geschichte zu korrigieren, die absurden Behauptungen des Bronso von Ix zu widerlegen und das Vermächtnis meines Bruders für alle Zeit zu stärken.«
Irulan formulierte ihre Antwort mit Bedacht. »Ich werde das Richtige tun, Regentin Alia.« Jessica warf der Prinzessin einen Blick zu, doch Alia schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein, genau wie die Menge, wenn man nach ihrer überschwänglichen Reaktion ging.
Obwohl Jessica sichtlich verstört war, trat sie vor, um die Todesdestille vor Alia zu erreichen. Sie wandte sich mit lauter Stimme an die Massen. »Priester, bringt uns Kelche! Dies ist das Wasser des Bronso von Ix, und wir alle wissen, was er getan hat.«
Nach einigen hektischen Augenblicken der Verwirrung eilten zwei Qizaras mit fünf verzierten Kelchen nach vorn. Irulan beobachtete Jessica und versuchte zu begreifen, was sie tat. Gurney Halleck hielt seine Zunge im Zaum, obwohl er zutiefst beunruhigt wirkte.
Doch Alia war höchst angetan vom Vorschlag ihrer Mutter. »Ah! Genau wie Lord Fenring vom Wasser seiner bösen Tochter getrunken hat, nachdem ich sie getötet habe, tun wir nun also dasselbe mit Bronso.«
Die Priester verteilten mit förmlicher Geste die Kelche, und Irulan nahm ihren entgegen. Trotz der Hitze des Tages und der dichtgedrängten Massen fühlte sich das Metall in ihrer Hand überraschend kalt an.
Jessica zapfte Wasser aus dem Vorratsbehälter der Todesdestille in ihren Kelch und wartete, während Duncan dasselbe für sich und Alia tat. Mit betonten Bewegungen füllte Jessica auch die Kelche für Gurney und Irulan. Als die Prinzessin zögerte, sagte Jessica klar vernehmlich: »Es ist Wasser, Irulan. Nichts weiter.«
»Das Wasser des bezwungenen Verräters.« Alia hob ihren Kelch. »Während der Feind Muad'dibs vergeht, stärkt sein Wasser unsere Lebensgeister und gibt uns Kraft.« Sie nahm einen tiefen Schluck.
»Bronso von Ix«, sagte Jessica und trank.
Irulan schauderte, als ihr plötzlich Jessicas Beweggründe klarwurden. Für sie war es keine Verurteilung, sondern ein Trunk auf ihn, eine Ehrenbezeugung, um sein mutiges, selbstloses Handeln und das schreckliche Opfer, das er für Paul und für das Erbe der Menschheit gebracht hatte, zu honorieren. In gewisser Weise war es das Gegenstück zu Jessicas hartem und notwendigem Urteil, das sie vor so vielen Jahren über die zehn leichtfertigen Rebellen auf Caladan verhängt hatte. Doch dies war kein Giftkelch, sondern lediglich Wasser ...
Irulan rang ihr Gefühl des Unbehagens nieder. Es ist Wasser. Die Flüssigkeit war warm und geschmacklos, destilliert, gefiltert, rein ... und kein bisschen durstlöschend. Aber sie trank sie, um Bronso zu ehren, ganz wie es Jessicas Absicht war.
Danach befahl Alia, das restliche Wasser des Verräters unter den höchstrangigen Angehörigen der Priesterschaft zu verteilen, als eine Art Abendmahl.
Als sich die Massen im Anschluss an das Hinrichtungsspektakel zerstreuten, kam es zu einem Aufruhr in den Straßen. Mit großem Trara sprang und wirbelte eine Gruppe Akrobaten umher und flog mit Suspensorgürteln hoch in die Luft, um dort Tricks vorzuführen. Die Leute lachten und applaudierten in fröhlicher Stimmung, die kaum durch das Blut des Mannes gemindert wurde, den sie soeben hatten sterben sehen.
»Jongleurs!«, rief jemand. Jessica sah sie kommen, beobachtete, wie sie die Menge als Sprungbrett benutzten. Bewegliche Akrobaten, die aus elastischem Material zu bestehen schienen, umhertollten und tanzten und flogen und sich dichter an die Plattform heranbewegten, wobei ihre Darbietung gleichermaßen der Menge wie den hochgestellten Zuschauern galt.
Ein eleganter Mann in einem erstaunlichen weißen Kostüm lief vor ihnen her. Er blieb in stolzer Haltung stehen, hob eine Hand und rief: »Ich bin Rheinvar der Großartige, und wir sind gekommen, um zu Ehren Paul Muad'dibs vor Ihnen zu spielen!« Mit einer großzügigen Geste streckte er beide Arme zur Plattform aus. »Und natürlich, um die Regentin Alia zu ehren, die Prinzessin Irulan und die liebreizende Lady Jessica.«
Inmitten höflichen Applauses erinnerte sich Jessica an etwas, das Bronso einmal über Rheinvar gesagt hatte: Vieles hat sich verändert ... nur der Anschein bleibt gleich.
Die Würdenträger blieben, um zuzuschauen, wie die Jongleurs ihre Vorstellung beendeten. Dann wies Alia ihre Priester an, sie mit einer ansehnlichen Summe zu belohnen.